C. Walton u.a. (Hrsg.): Hermann Hesse und Othmar Schoeck

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Titel
Hermann Hesse und Othmar Schoeck. Der Briefwechsel


Herausgeber
Walton, Chris; Germann, Martin
Reihe
Schwyzer Hefte
Erschienen
Wollerau 2016: Kulturkommission Kanton Schwyz
von
Marianne Derron Corbellari

Nachdem die Schwyzer Hefte 1992 eine Nummer über den Landschaftsmaler und Hotelier Alfred Schoeck publizierten, haben sie sich 2016 seinem Sohn, dem Musiker und Komponisten Othmar, zugewandt. Das neuste Heft ist ein weiterer Beitrag zur Würdigung des Innerschweizer Komponisten, der als Musiker zwar in Zürich Karriere machte, aber Brunnen als Ort seiner Kindheit und Jugend zeitlebens eng verbunden blieb. Das Schwyzer Heft Nr. 105 ist jedoch nicht nur Othmar Schoeck, sondern ebenfalls Hermann Hesse gewidmet, denn es enthält die erste Gesamtedition von deren Korrespondenz und verspricht «einen einzigartigen Einblick in eine ganz besondere Freundschaft zwischen zwei grossen Künstlern» (S. 8). Die kommentierte Briefausgabe ist das Resultat einer transdisziplinären Zusammenarbeit von Martin Germann (Germanist und Historiker) und Chris Walton (Musikwissenschaftler, Schoeck-Spezialist) und ist in drei Teile gegliedert: «1 Vom Kennenlernen zur Freundschaft» (Briefe 1911–1917), «2 Die Korrespondenz der aktiven Jahre» (Briefe 1919 – 1944) und «3 Alter, Gesundheit, Arbeiten » (Briefe 1946 – 1957). Damit füllen Germann und Walton eine Lücke, bestehen doch mehrere Briefausgaben der beiden Künstler, aber keine vollständige ihrer direkten Korrespondenz. Der erste Teil betrifft also die Jahre, in denen Hermann Hesse in Bern lebte (1912 –1919).

Wann sich Schoeck und Hesse erstmals begegneten, kann nicht mehr eruiert werden; im fortgeschrittenen Alter hatten beide Künstler abweichende Erinnerungen. Fest steht jedoch, dass Schoeck 1906 vier Hesse-Gedichte vertonte und dass sich die beiden 1911 trafen, um eine Oper bzw. ein Libretto zu verfassen. Dieses Projekt wurde zwar nie verwirklicht, aber es führte zu einer lebenslangen Freundschaft. Am 15.3.1911 setzte ihr Briefwechsel ein, und Schoeck vertonte erneut ein Hesse-Gedicht. Bis 1917 sind einzig die Schreiben Schoecks erhalten geblieben, mehrheitlich Postkarten, die vor allem über Touristisches (Sehenswürdigkeiten in Italien und Deutschland) berichten. Künstlerische Themen werden weniger angesprochen, aber man erfährt doch, dass Schoeck und Hesse die Romantiker verehrten (Mörike und Eichendorff) und Komplimente über ihre Werke austauschten. So freute sich Schoeck sehr, dass Hesse in seiner Eichendorff-Ausgabe bemerkte, von den zeitgenössischen Musikern habe «keiner so schöne Eichendorff-Lieder komponiert wie der Schweizer Othmar Schoeck» (S. 26, Anm. 26). Der erste, vierseitige Brief Schoecks an Hesse vom 29.12.1914 steht dann unter dem Zeichen des Krieges und zeigt, dass sich der Verfasser keine Illusionen über dessen Dauer machte. Gleichzeitig enthüllt er den Familienmenschen, der zu Eltern und Brüdern ein inniges Verhältnis pflegte. Schoeck bedankt sich für Hesses neuste Gedichtsammlung und geht auf einzelne Gedichte im Detail ein (S. 32).

Persönlich verband die Künstler mehr als nur Musik, Poesie oder die Abscheu vor dem Krieg. Beide litten gelegentlich an depressiven Zuständen und pflegten ein weiteres künstlerisches Talent: das Malen und Zeichnen. So illustrierten Hesse und Schoeck ihre Korrespondenz mit eigenen Zeichnungen, welche das Heft hervorragend bebildern. Überrascht entdeckt man Schoecks kleines Ölgemälde der Mythen von 1915 im Stile eines Hodler (S. 37; offenbar ein Geschenk für Hesse, leider verschollen). Aufschlussreich ist das ästhetische Urteil Schoecks über den Literaten Hesse. Während er im Briefwechsel mit Komplimenten nicht geizte, soll er sich gegenüber Freunden und Familienmitgliedern abschätziger geäussert haben. So sehr er nämlich den Lyriker Hesse bewunderte, so schlecht fand er anscheinend dessen Romane (vgl. S. 83). 1931 soll er aber dennoch wieder geurteilt haben: «[Hesses] Prosa ist vielleicht die schönste, die ich kenne.» (S. 10)

Germann und Walton präsentieren eine leicht lesbare und zugängliche Ausgabe, deren Verhältnis zwischen Brieftexten, Kommentar, Anmerkungen und Illustrationen angenehm ausgewogen ist. Begrüssenswert ist weiter das Register, das man in einer schlankeren Heft-Ausgabe nicht unbedingt erwartet. Der Anhang enthält zwar sehr schöne, nostalgisch gefärbte Erinnerungen an Schoeck und Hesse aus verschiedener Hand, aber die Rezensentin vermisste einen Beitrag technischer Art: eine Liste aller Hesse-Vertonungen von Schoeck. Dabei hätte sich Herausgeber Chris Walton hierfür aus seiner eigenen Forschung bedienen können.1 Denn bald steht die Frage im Raum, ob Hesse der Lyriker war, den Schoeck zu den meisten Liedern anregte, bzw. wie oft dieser auch andere Dichter vertont hat (Lenau, Mörike, Keller, Meyer usw.). In diesem Fall ist die Webseite www.klassika.info2 mit 20 Hesse-Vertonungen, aber noch mehr von Mörike hilfreicher als die Briefedition. Gemäss der Hefteinleitung war Hesse aber «der einzige zeitgenössische Dichter, den [Schoeck] regelmässig vertonte». (S. 10) Ein Konzert mit Mörike-Liedern jedenfalls war der Anlass, Deutschland nach dem Krieg wieder zu bereisen und dessen Zauber inmitten der Zerstörungen wiederzufinden (dazu zwei berührende Briefe S. 83f.). Literatur- und Musikinteressierte suchen weiter vergeblich einen Hinweis, welche anderen Komponisten Hesse vertont haben. Obwohl diese Frage über die Beziehung Schoeck – Hesse hinausgeht, stellt sie sich rasch bei der Lektüre. 1941 nannte Hesse Schoeck «den bedeutendsten Liedkomponisten unserer Zeit» (S. 10). Doch 1948 schuf Richard Strauss seine Vier letzten Lieder – darunter drei Hesse-Vertonungen –, die unbestreitbar zu den schönsten deutschsprachigen Liedern zählen.

Walton und Germann schwebt sowohl ein wissenschaftlich interessiertes als auch ein breiteres Publikum vor. Ihre Editionstechnik (vgl. S. 12), die mit nur wenigen, kleineren Eingriffen auskommt, wird diesem Anspruch gerecht. So wird das eingangs (S. 8) gegebene Versprechen voll und ganz eingehalten, ja man darf sogar beifügen: Die Briefausgabe illustriert nicht nur die Freundschaft zweier Künstler, sondern nichts weniger als das 20. Jahrhundert mit seinen schlimmsten und schönsten Momenten (besonders beeindruckend: die Briefe der Kriegsjahre). Schön ist, dass die Korrespondenz auch weitere Personen wieder aufleben lässt, die im Schweizer Kunstleben eine wichtige Rolle gespielt haben und Bewunderung verdienen, wie den Mäzen Werner Reinhart, den Kunstmaler Louis Moilliet, den Tenor Ernst Haefliger und den Dirigenten und Komponisten Volkmar Andreae.

1 Walton, Chris: Othmar Schoeck. Eine Biographie, Zürich/Mainz 1994, Werkverzeichnis S. 333 – 380.
2 http://www.klassika.info/Komponisten/Schoeck/wv_opus.html

Zitierweise:
Marianne Derron Corbellari: Rezension zu: Walton, Chris; Germann, Martin (Hrsg.): Hermann Hesse und Othmar Schoeck. Der Briefwechsel. Schwyzer Hefte Band 105. Wollerau: Kulturkommission Kanton Schwyz 2016. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 79 Nr. 2, 2017, S. 95-98.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 79 Nr. 2, 2017, S. 95-98.

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